Am 19. November 2021 fand die vom EnJust Netzwerk ausgerichtete Podiumsdiskussion zum Thema „Klimamodelle als Politik? Zur politischen Bedeutung von Klimamodellen und Szenarien“ statt. Eingeladen zu dieser interdisziplinären Panelrunde waren die Expert*innen: Mojib Latif, Silke Beck, Mathias Frisch und Gregor Hagedorn.
Teilnehmende der Podiumsdiskussion:
- Mojib Latif: Professor an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Leiter der Forschungseinheit Maritime Meteorologie am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (GEOMAR)
- Silke Beck: Professorin am Lehrstuhl für Wissenschaftssoziologie (Vertretung), TUM School of Social Sciences and Technology Department of Science, Technology and Society (STS), Technische Universität München
- Mathias Frisch: Professor für theoretische Philosophie, insbesondere Wissenschaftsphilosophie, an der Leibniz Universität Hannover
- Gregor Hagedorn: Akademischer Direktor am Museum für Naturkunde (Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung) Berlin, Mitbegründer der Scientists for Future
Es moderierten:
Silja Klepp und Christian Baatz: EnJust, CAU Kiel
Klimamodelle als Politik? – Einführende Worte zur politischen Dimension von Modellen
Zu Beginn der Veranstaltung gaben Silja Klepp und Christian Baatz vom EnJust Netzwerk für Umweltgerechtigkeit eine thematische Einführung. Sie verwiesen auf verschiedene Fragen und eventuelle Probleme, die sich im Kontext von Szenarienentwicklung und Klimamodellierung ergeben.
Silja Klepp skizzierte hierbei ein Spannungsfeld zwischen dem Einfluss von Klimamodellen und Szenarien auf die Umwelt- und Klimapolitik und ihrer selten diskutierten politischen Dimension. Durch eine historische Perspektive auf Modellierungen und Szenarien mit Rückbezug auf Matthias Heyman und Amy Delmedico, beschrieb Silja Klepp die Kritik der Autor*innen, dass Klimamodelle oft reduktionistisch seien und suggerieren würden, dass die Welt modellierbar und kontrollierbar sei. Zudem habe die Rolle von Modellen im IPCC ein neues Wissensregime geschaffen, welches auch als politisches Instrument an Bedeutung gewinnt.
Mit Verweis auf Stefan Aykut, führte Silja Klepp weiterhin aus, dass Vorhersagen und Prognosen durch den Reduktionismus, der in den vorhersagenden Methoden angelegt sei, eine lineare, numerische und sehr westlich geprägte Vorstellung von der Welt geschaffen hätten. Dieses Narrativ des kontrollierbaren Klimawandels könne de-politisierend wirken und stünde zudem im Kontrast zur Unfähigkeit der internationalen Politik, den Klimawandel zu begrenzen. Zudem würden die Unsicherheiten der Modellergebnisse zu wenig kommuniziert.
Christian Baatz führte diesen Aspekt weiter aus und argumentierte unter Bezug auf Eric Winsberg, dass bei Modellierungen methodische Entscheidungen getroffen würden, welche sich nicht im wertfreien Raum bewegten. Die Komplexität der Modelle mache es praktisch unmöglich, die Auswirkungen der Methodenwahl auf Wahrscheinlichkeiten von Ergebnissen anzugeben, u.a. da viele dieser Entscheidungen an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten getroffen würden. Dieser Umstand erschwert die Kommunikation von Werturteilen und deren Einfluss auf Modellergebnisse erheblich.
Des Weiteren warf Christian Baatz die Frage auf, ob sich die Klimaforschung zu wenig an politischen Fragen orientiere und sich stattdessen zu sehr auf die Erklärung von Phänomenen fokussiere. Als letzten Punkt warf er ein, dass eine reduktionistische Herangehensweise teils unvermeidlich und auch wünschenswert sei, da sie in die Lage versetzt, Phänomene zu erklären und zu prognostizieren. Ohne die numerische Klimamodellierung wäre die scharfe und differenzierte ethische Kritik des Status Quo kaum möglich.
Politisch oder nicht?
Die in der Einführung vorgestellten Argumente und Problematiken entfachten gleich zu Beginn eine lebhafte Diskussion. Mojib Latif stieg mit der Feststellung ein, dass Klimamodelle nicht politisch seien. Außerdem gebe es eine große Verwirrung darüber, was man mit dem Begriff Klimamodell meint. Er führte zudem aus, dass die physikalischen Modelle ihre Gültigkeit gezeigt hätten und viele Ergebnisse schon längst verifiziert worden seien. Die Modelle basieren auf den Grundgesetzten der Physik, die a priori nicht politisch seien. Mojib Latif meinte, dass die werturteilsbehaftete Entscheidung schlussendlich bei der Politik läge. Was allerdings politisch sei, sind die Szenarien mit denen die physikalischen Klimamodelle gefüttert werden.
Mathias Frisch stimmte Mojib Latif zu, dass naturwissenschaftliche Klimamodelle nicht politisch seien. Dann kommentierte er das Thema der Unsicherheiten und die Problematik der medialen Darstellung dieser, welche eventuell durch die neuen Storylines in den IPCC Reporten verbessert werden könnte. Silke Beck stimmte Latif zum Teil zu, brachte dann aber die Sprache auf sogenannte Integrated Assessment Models (IAM), die zur Politikberatung entwickelt wurden und zur Beantwortung konkreter politische Probleme verwendet werden.
Integrierte Modelle dienen dabei dazu, die Konsequenzen politischen Handelns zu untersuchen und Pfade zur Erreichung von politischen Zielen zu projizieren. Während IAMs beispielsweise in der Arbeitsgruppe III des Intergovernmental Panel on Climate Change verwendet werden, kommen Klimamodelle hauptsächlich in Arbeitsgruppe I zum Einsatz. Gregor Hagedorn hebt im Anschluss hervor, dass es auch Szenarien gibt, die nicht nur die Emissionen von Treibhausgasen, sondern auch sozioökonomische Veränderungen bis zum Jahr 2100 projizieren, wie die gemeinsam genutzten sozioökonomischen Pfade (engl. Shared Socioeconomic Pathways, SSP). Grundsätzlich sind Modelle für ihn jedoch trotz Unsicherheiten das beste Mittel, welches wir haben, um die Zukunft navigieren zu können.
Im Zuge dieser Diskussion wurde von der Panelrunde auch der Unterschied von Klimamodellen und -Szenarien erläutert: Szenarien skizzieren schlüssige Bilder möglicher zukünftiger gesellschaftlicher Entwicklungen und damit korrespondierender Treibhausgasemissionen. Wie sich das Klima in den jeweiligen Szenarien verändert, wird dann mittels umfangreicher Computerprogramme berechnet, die wesentliche Komponenten des Klimasystems der Erde abbilden und die man im Allgemeinen als Klimamodelle bezeichnet.
Die Rolle von IAMs, Diskontraten und Shared Socio-economic Pathways (SSPs)
Im Folgenden wurden auch die SSPs kritisch diskutiert. Für Gregor Hagedorn würden grundlegende Annahmen wie beispielsweise zum Wirtschaftswachstum kaum diskutiert und seiner Ansicht nach enthielte kein SSP-Szenario eine grundlegende sozial-ökologische Transformation. Silke Beck stimmte zu, dass IAMs Probleme haben, nicht-linearen Wandel (wie Verhaltensänderungen oder Innovationspolitik) abzubilden. Die Wahl der Diskontrate, die diesen Projektionen zugrunde liegt, hat erheblichen Einfluss auf die Frage, wer zu welchem Zeitpunkt in welchem Ausmaß Emissionen reduzieren muss und spielt damit für die Definition von Verteilungsfragen und Fragen der historischen und zukünftigen Verantwortung eine wichtige Rolle. Sie schlussfolgerte, dass ggf. kontroverse Annahmen über lineares Wachstum oder Optimierungspotenziale von Märkten und Technologien in den Berichten der Arbeitsgruppe III des IPCC transparent kommuniziert werden müssten, wobei der IPCC lernfähig sei und bereits auf Kritik reagieren würde. Mathias Frisch ging ebenfalls auf die Diskontrate ein und argumentierte, dass diese in vielen Modellierungen zu hoch angesetzt sei und ging auf die ethischen Implikationen bei der Wahl der Diskontrate ein.
Die Diskussion wurde im weiteren Verlauf durch die Beantwortung von Fragen aus dem Publikum in unterschiedliche Richtungen gelenkt.
Integration von verschiedenen Wissensformen und Indigenous Knowledge im IPCC
Eine Frage aus dem Publikum beinhaltete die Rolle von Indigenous Knowledge im IPCC. Silke Beck antwortete, dass die Integration von Indigenous Knowledge für den IPCC im Vergleich zumBiodiversitätsrat eine nachgeordnete Rolle spielt.
Kommunikation von wissenschaftlichen Ergebnissen und das Verhältnis von Politik und Forschung
Mathias Frisch betonte, dass es wichtig sei, den Faktor Klimavariabilität in den öffentlichen Klimadiskurs einzubeziehen. Noch gäbe es zu viele Menschen, für die ein kalter Winter bedeutet, dass es keinen Klimawandel gibt. Mojib Latif ergänzte, dass seiner Meinung nach in öffentlichen Diskursen zu viel über die falschen Themen wie das Tempolimit geredet würde. Er sagte außerdem, dass wir das 1,5° Ziel reißen werden, sofern die nächsten 10 Jahre weiter in diesem Ausmaß emittiert wird. Anstatt theoretische Überlegungen anzustellen, müssten wir uns noch viel stärker darauf fokussieren, Treibhausgase effektiv zu senken. Gregor Hagedorn fügte hinzu, dass momentan noch eine zu ausgeprägte Investition z. B. in fossile Strukturen stattfände, die keinen Beitrag zu einer Dekarbonisierung darstellen würden.
Die Panelrunde war sich einig darin, dass es für einen Strukturwandel einen starken Dialog zwischen Wissenschaft und Politik geben müsse. Hierbei gehe es häufig jedoch nicht um ein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem. Meist würde bei politischen Verhandlungen der kleinste gemeinsame Nenner ausgehend vom Status quo gewählt, sodass tiefgreifende Innovationen bisher ausblieben oder zu langsam stattfinden. Als ein gutes Beispiel wurde der Klimabürger*innenrat genannt.
Auch wurde die Einflussnahme der Politik auf die Forschung debattiert. Mojib Latif war der Ansicht, dass Wissenschaft frei sei und auch frei von politischer Einflussnahme bleiben müsse. Mathias Frisch warf ein, dass sich Klimaforscher*innen auch an gesellschaftlichen Belangen orientieren würden und dürften (oder sollten?). Silke Beck ergänzte, dass es für Wissenschaftler*innen wichtig sei, die richtige Balance zwischen politischer Relevanz und Glaubwürdigkeit zu finden.
Was ist die zukünftige Rolle von Wissenschaft im Bereich Klimawandel?
In der Abschlussrunde wurde noch ein Ausblick auf die zukünftige Rolle von Wissenschaft für die Klimawandeldebatte und -begrenzung gegeben. Silke Beck leitete die Runde ein, indem sie anführte, dass Wissenschaft auch die Frage beantworten müsse, wie transformativer Wandel politisch gestaltet werden kann und was ihr Beitrag dazu ist. Gregor Hagedorn ergänzte, dass sich auf die Mitte der Bevölkerung fokussiert werden müsse, da diese oft die „Nicht-wahrhaben-Woller“ einschließe. Diese wollen den Klimawandel nicht in ihr Realitätsmodell integrieren. Über mögliche Lösungsansätze zu sprechen, könnte helfen, das Denkverhalten der breiten Masse zu verändern. Dies könnte somit dazu beitragen, wirtschaftliche Entwicklung in klimaneutralen Branchen zu forcieren und Treibhausgas-intensiven Konsum zu reduzieren. Mathias Frisch fügte hinzu, dass statt nur über Fakten und Unsicherheiten zu reden, gerade auch Lösungsmöglichkeiten explizit thematisiert werden müssten.
Mojib Latif beendete die Runde, indem er anmerkte, dass neben lösungsbasierten Ansätzen ein Mitdenken der Gerechtigkeitsdimension essenziell sei. Globale Gerechtigkeit müsse umgesetzt werden, wenn das Klimaproblem gelöst werden solle. Der globale Norden müsste entsprechend für sein Handeln zur Verantwortung gezogen werden und eine gerechte Verteilung der Klimawandel-indizierten Lasten stattfinden, was auch Kompensationsleistungen umfasst.
Jenny Bischoff und Jana Wilkening, EnJust