Mehr als 60 Wissenschaftler*innen aus 14 Ländern trafen sich vom 6. bis zum 8. Juni an der Kieler Universität zum Workshop „Narratives and Practices of Environmental Justice“, um sich zu Themen und Fragen der Umweltgerechtigkeit miteinander auszutauschen.
Ein kleiner und wohlhabender Teil der Weltbevölkerung beansprucht einen immer größeren Anteil der Ressourcen auf der Erde und verschmutzt und zerstört gleichzeitig wertvolle Lebensräume an Land und in den Weltmeeren. Betroffen sind oft diejenigen Gruppen, die am wenigsten für die Entwicklungen verantwortlich sind. Wie lässt sich ein gerechterer Umgang mit Umweltkrisen erreichen? Welche Dimensionen von Gerechtigkeit (z.B. Verteilung der Kosten und Nutzen, Anerkennung von Identitäten, Beteiligung an politischen Entscheidungen) werden davon berührt und welche unterschiedlichen Gerechtigkeitskonzepte (Gleichheit, Bedürfnisse, Verdienst etc.) stehen sich dabei gegenüber? Der Workshop brachte zum einen internationale Forscher*innen aus den Bereichen Geographie, Sozial-, Politik- und Rechtswissenschaften und Umweltethik zusammen. Darüber hinaus sollte aber auch der Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft gefördert werden, um die Thematik intensiver in die öffentliche Debatte zu bringen. Aus diesem Grund gehörten auch Künstler*innen und Aktivist*innen zu den Teilnehmenden. Nicht zuletzt diente der Workshop als Startschuss für das neue internationale Netzwerk zur Umweltgerechtigkeit (EnJust – Network for Environmental Justice), das am 8. Juni gegründet wurde und das zukünftig als Schnittstelle zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, Politik und Zivilgesellschaft dienen soll. Nähere Informationen über das Netzwerk, das neue Mitglieder selbstverständlich immer willkommen heißt, gibt es unter www.enjust.uni-kiel.de, #enjust bzw. über die Email enjust[at]geographie.uni-kiel.de.
Eröffnet wurde der Workshop mit einer Keynote von Gordon Walker (Environment Centre, Lancaster University, UK), einem der führenden Geographen auf dem Feld der Umweltgerechtigkeit. Sein Vortrag mit dem Titel „Environmental justice in space and time: opening up temporalities“ beleuchtete v.a. die Zeitlichkeit von Gerechtigkeitsfragen. Während die verschiedenen räumliche Komponenten von Umweltgerechtigkeit bereits eingehend betrachtet wurden (z.B. räumliche Verteilung von Umweltkosten, Geographien der Verwundbarkeit bzw. der Verantwortung), blieben zeitliche Muster von Umweltkrisen bislang weitgehend unbeachtet. So lassen sich z.B. viele soziale Folgen von Umweltprobleme als eine Form von slow violence beschreiben, einer subtil und erst über lange Zeiträume wirksamen Form von gesellschaftlicher Gewalt, die nur schwer zu erkennen und noch schwerer nachzuweisen ist. Daneben müssen auch die Rhythmen des gesellschaftlichen Lebens stärker beachtet werden, um zu analysieren, in welcher Weise z. B. bestimmte Bevölkerungsgruppen allein durch ihre aktionsräumlichen Routinen in besonderem Maße bestimmten negativen Umweltfaktoren ausgesetzt sind (z. B. Feinstaubbelastung bei Pendlern). Mit seinem Plädoyer für eine stärkere Zeit-Sensibilität eröffnet Walker eine ganz neue Dimension bei der Analyse von Themen der Umweltgerechtigkeit.
Keynote: Gordon Walker “Environmental justice in space and time: opening up temporalities”
Weitere Teilaspekte dieses weiten Feldes wurden dann in den folgenden zwei Tagen im Rahmen von sieben thematischen Panels bzw. 31 Vorträgen angesprochen. Der Weiterentwicklung der theoretischen Basis von Umweltgerechtigkeit widmete sich die Sitzung „Conceptualizing Environmental Justice“, bei der unterschiedliche Gerechtigkeitsprinzipien, wie Partizipation, Rawls‘ Ziel der Fairness, der Capabilities-Ansatz oder das Prinzip der Gleichheit, kritisch beleuchtet und hinsichtlich ihrer Eignung, als Grundlage von Gerechtigkeitsdiskursen zu dienen, beleuchtet wurden. Die Session zu „Social movements and counter narratives“ behandelte Beispiele von zivilgesellschaftliche Bewegungen aus verschiedenen Ländern (u. a. Argentinien, Mexiko, Deutschland, Maghreb-Staaten), die in jeweils unterschiedlicher Weise Umweltgerechtigkeit einfordern und sich dabei verschiedener Diskurselemente und Narrative bedienen. Das Panel zu „Justice dimensions of climate politics“ beschäftigte sich mit den gerechtigkeitstheoretischen Implikationen von Strategien zum Umgang mit dem Klimawandel. Sei es REDD+, Carbon Pricing, Natural Hazard Management oder Klimaanpassungsstrategien: Alle diese Ansätze haben weitreichende Folgen hinsichtlich der Verteilung von Kosten und Nutzen und anderer Gerechtigkeitsdimensionen. Die Sitzung zur „Marine Justice“ beleuchtete Umweltgerechtigkeit im maritimen Kontext. Fragen des internationalen Rechts, des grenzüberschreitenden Managements natürlicher Ressourcen oder der Interessen von Fischern stehen dabei immer in Beziehung zur Problematik der Allmende bzw. der Commons, die die sozialwissenschaftliche Diskussion um Umweltprobleme bereits seit langer Zeit prägt. Die Gesundheitswissenschaften, die in der Session zu „Public health and environmental justice“ im Mittelpunkt standen, beschäftigen sich bereits seit langem mit der Frage, inwieweit Umweltbelastungen ungleich bzw. ungerecht verteilt sind, und mit den verschiedenen Möglichkeiten, diese gesellschaftlichen Muster wissenschaftlich nachzuweisen und hinsichtlich ihrer Wirkungsweise zu analysieren. Im Panel zu „Justice dimensions of environmental politics“ wurden verschiedene Beispiele von umwelt- und naturschutzpolitischen Maßnahmen (Naturschutzgebiete, Zahlungen für ökologische Dienstleistungen, etc.) im Hinblick auf ihre Implikation für eine gerechte Gesellschaft beleuchtet. Auf der Sitzung zu „Environmental conflict and transformation“ wurden Studien vorgestellt, die mithilfe sehr unterschiedlicher Methoden (Diskursanalyse, Q-Methode, partizipatives Theater etc.) zu einem besseren Verständnis der sozialen und kulturellen Dynamik von Umweltkonflikten beitragen wollen.
Ergebnisse der Worldcafé-Session
Aufgelockert wurde der Workshop durch Veranstaltungen, die auf einem aktiven Austausch von Ideen basierten. Neben einem World-Café, bei dem v.a. die gesellschaftliche Relevanz von Forschung zu Umweltgerechtigkeit diskutiert wurde, gab es eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion, auf der Vertreter*innen aus Planung, Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Recht und Parteipolitik miteinander debattierten. Teilnehmer*innen waren: Roda Verheyen, eine Hamburger Rechtsanwältin, die momentan mehrere Klima-Klagen vor deutschen Gerichten verfolgt, Jean Carlo Rodriguez de Fransisco vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, Daniel Morchain, der lange Zeit bei Oxfam gearbeitet hat und der nun beim International Institute for Sustainable Development tätig ist, Gunnar Maus als Vertreter der Regionalplanung von Schleswig-Holstein und der Vorsitzende der Grünen in Schleswig-Holstein, Steffen Regis.
Parallel zu den Veranstaltungen fand im Foyer des Wissenschaftszentrums Kiel eine Ausstellung mit Fotos von Barbara Dombrowski statt, die sich in ihrer Arbeit mit der gelebten Wirklichkeit des Klimawandels beschäftigt (siehe nächste Seite). Mit ihren großformatigen Portraits und Alltagsszenen aus Kiribati, dem Staat in Ozeanien, dessen Inseln unmittelbar vom Meeresspiegelanstieg bedroht sind, gibt sie dem ansonsten abstrakten Phänomen des Klimawandels ein menschliches Antlitz, ohne dabei die Menschen als Opfer zu zeigen. Dieses Nebeneinander von wissenschaftlichem Diskurs, gesellschaftlicher Debatte und künstlerischer Herausforderung gab dem Workshop seinen besonderen Charakter. Es besteht die konkrete Hoffnung, dass dieser Workshop den Beginn einer intensiven und nachhaltigen Zusammenarbeit von nationalen und internationalen Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen markiert, die sich mit Themen der Umweltgerechtigkeit auseinandersetzen. Bereits im nächsten Jahr soll der nächste Workshop des EnJust-Netzwerkes stattfinden; Hartmut Fünfgeld von der Universität Freiburg hat in Aussicht gestellt ihn zu organisieren.
Florian Dünckmann, Jonas Hein, Silja Klepp