Künstlerische Forschung der Hamburger Fotografin Barbara Dombrowski und der Kieler Geographin Silja Klepp
Im Herbst 2020 reisten die Fotografin Barbara Dombrowski und die Humangeographin Silja klepp nach Sizilien. Die Reise war Beginn einer gemeinsamen künstlerischen Erkundung und Forschung zur dauerhaften Erosionsküste an den Küsten der Region Messina.
Die Fotoinstallation “Vernetzte Krisen im Anthropozän: Brennende Wälder und erodierende Küsten“ ist ein Ergebnis dieser besonderen Reise. Die Installation schafft ein interaktives Verständnis der Mensch-Umwelt-Beziehungen in Sizilien, die hochdynamisch sind und auf gegenseitiger Abhängigkeit beruhen. Darüber hinaus soll die Ausstellung Debatten für transformatives Handeln fördern, die zu einem nachhaltigeren Umgang mit der Natur führen.
Vor mehr als zehn Jahren begann Barbara Dombrowski, sich in ihrem weltweiten Fotokunstprojekt “Tropic Ice Dialog between Places affected by Cllimate Change“ mit den Auswirkungen des Klimawandels auf indigene Völker zu beschäftigen. Das Ergebnis sind beeindruckende Porträts von Menschen aus allen fünf Kontinenten. Heute arbeitet sie mit Wissenschaftler*innen an der Schnittstelle zwischen Kunst und Wissenschaft zu den Themen Klimakrise und Mensch-Umwelt-Beziehungen im Anthropozän. Dombrowski und Klepp planen die Integration des Sizilien-Projekts in einen größeren europäischen Kontext zu setzen. Sie haben zuvor die Ausstellung “Klimagerechtigkeit in Kiribati“ in Ozeanien umgesetzt, die Teil des “Tropic Ice“-Projekts ist.
Die Bilder der Küstengebiete Siziliens sind eng mit der Forschung von Silja Klepp verbunden. Klepp arbeitet zu Umweltgerechtigkeit und sozialökologischer Krise und sucht den Dialog mit der Gesellschaft in einem neuen, künstlerisch inspirierten Ansatz. Die Professorin für Sozialgeographie der Küsten- und Meeresgebiete an der Universität Kiel hat viele Jahre auf Sizilien geforscht. Ihre jüngsten Studien befassen sich mit dem Verfall der Küsten und Umwandlung von öffentlichem Land und Dünenlandschaften in Bauland und Privateigentum.
Nach dem Enjust Workshop in Bern (Schweiz) wird die Ausstellung an die Universität Kiel und dann nach Naso (Sizilien/Italien) reisen.
Erosion durch Bebauung. Eine von Aneignung geprägte Umweltgeschichte.
In den letzten Jahrzehnten sind die Küsten der Region Messina von Bautätigkeit und der Umwandlung von öffentlichem Land und Dünenlandschaften in Bauland und Privateigentum geprägt. Diese Bautätigkeiten, einschließlich harter Küstenschutzmaßnahmen, haben zu Erosion und Verfall der Küsten geführt.
In Sizilien kommen zunehmende Küstengefahren durch den anthropogenen Klimawandel, ein rascher demographischer Wandel und die Zersiedelung der Küstengebiete zusammen. Seit den 1960er Jahren sind viele Sizilianer*innen aus den Bergen an die Küste gezogen. Die Städte in den bergen sind geschrumpft. Küstengemeinden, die ursprünglich kleine Fischerdörfer waren, sind stark gewachsen. Dies führte zu Problemen in den Bergen und an der Küste.
Die Vernachlässigung und Verbuschung von Flächen auf dem Land verursachen Waldbrände. Das Unterholz fängt leicht Feuer und ist für die schnelle Ausbreitung der Brände verantwortlich. In der Region Messina wurden die Flussläufe (die Torrenti), die die Sedimente zu den Stränden transportieren, seit den später 1970er Jahren zunehmend betoniert. Diese Entwicklung führte zu dramatischen Erosionseffekten:
Diese Eingriffe waren weder geplant, noch durchdacht, noch wurden sie mit Bedacht durchgeführt. (…) Unserer Meinung nach ging es nur darum, die Gier von Unternehmen und Politiker*innen zu befriedigen, die damit Geld verdienen wollten, für die Vergabe von Aufträgen. Es ging also darum, diese Summen auszugeben…Es gab wirklich keinen Bedarf: es war ein “konstruierter“ Bedarf. Es war Geld vorhanden…
(Zitat Interview SK mit Umweltaktivist, 10.02.2022 Capo d´Orlando)
Die Betonierung der Torrenti und der Küste hat in vielen Küstengebieten Siziliens eine Art “Teufelskreis“ in Gang gesetzt: Die Antwort auf die Erosion sind meist harte Küstenschutzmaßnahmen wie Buhnen und Wellenbrecher, die zu weiterer Erosion und Küstenverfall führen. Heute sind zahlreiche Küstengemeinden ständig auf teure Küstenschutzmaßnahmen angewiesen, wenn die bewohnten Gebiete erhalten werden sollen. Für diese Maßnahmen werden öffentliche Mittel in allen Größenordnungen, von der EU bis zur kommunalen Ebene, eingesetzt. Die Küstenpolitik ist durch einen immer wieder ausgerufenen Ausnahmezustand und eine profitable “Katastrophenwirtschaft“ (Naomi Klein 2007) gekennzeichnet. Von der “Katastrophenwirtschaft“, die sich an den sizialinischen Küsten gebildet har, profitiert vor allem der Bausektor, aber auch verschiedene Expert*innen und Beratungsunternehmen.
Küstenentwicklung 2.0 – Noch mehr Zement und andere Narrative der Entwicklung?
Aufgrund des Klimawandels und der Bautätigkeit verschärft sich die Krise an den Küsten. Dennoch dominieren Narrative der wirtschaftlichen Entwicklung und der (ökologischen) Modernisierung unser Handeln. Welche Konzepte helfen uns bei der Bewältigung der sozio-ökologischen Krise?
In den Zeiten des Klimawandels führen immer mehr Überschwemmungen, die durch Starkregen und den Anstieg des Meeresspiegels verursacht werden, zu Problemen für Menschen und Infrastrukturen. Dies verstärkt die ständige Bedrohung der Küsten durch die vom Menschen verursachte Erosion. Die Bautätigkeit wurde jedoch in den letzten Jahren nicht eingeschränkt.
Im Gegenteil, die Küstenschutzgesetze wurden umgangen, insbesondere durch den Bau mehrerer kleiner Jachthäfen im Gebiet von Messina. Während es generell verboten ist, in einem Umkreis von 150 Metern von der Küste zu bauen, können auf dem Hafengelände touristische Anlagen und Infrastrukturen errichtet werden. Dabei haben Gemeinden, die früher einen Fischereihafen hatten, jetzt nur noch einen touristischen Hafen. Fischer*innen aus San Giorgio, einem Ort, der früher für den Thunfischfang berühmt war, müssen jetzt 40km nach Sant’Agata di Militello fahren, um zu ihren Booten zu gelangen.
Die Planung und Entwicklung enuer Infrastrukturen für den Tourismussektor folgt vor allem Ideen von ökologischer Mordernisierung und technikkonzentrierter Nachhaltigkeit. Durch den letzten naturbelassenen Küstenabschnitt zwischen Capo d’Orlando und Terranova wurde nun ein 12 Meter breiter Fahrradweg gebaut.
In der Region messina, wie in fast allen Küstenstädten weltweit, stellen sich Fragen zu den unterschiedlichen Vorstellungen von einer guten Zukunft der Küsten. Was bedeutet Entwicklung und Wohlstand für uns? Was sollte geschützt werden und wie? Wie wollen wir unsere Beziehungen zwischen Menschen und Küste gestalten? Und wie sieht eine nachhaltige Küstenentwicklung aus?
Die Katastrophe von Giampilieri und Scaletta Zanclea im Jahr 2009
Aufgrund der zunehmenden Niederschläge und der Zementierung der Flussbetten in den Bergen sind Schlamm- und Erdrutsche in der Region messina sehr häufig. Einige dieser Ereignisse forderten auch Todesopfer. Am 1.Oktober 2009 starben an der ionischen Küste in den kleinen Orten Giampilieri und Scaletta Zanclea bei Messina 37 Menschen.
Ingenieure des regionalen Zivilschutzes (protezione civile) haben in der Kleinstadt Giampilieri für rund 100 Millionen Euro eine harte Betoninfrastruktur gebaut, um weitere Katastrophen zu verhindern. Die Mittel stammen hauptsächlich von der Europäischen Union. Die Meinungen über die Wirksamkeit dieser Maßnahmen gehen weit auseinander, vor allem außerhalb von Giampilieri. In Giampilieri selbst wurden die Maßnahmen überwiegend begrüßt.
Gemeinsame Ausstellungen Barbara Dombrowski – Silja Klepp
Climate Justice in Kiribati, www.marinesocialscience.uni-kiel.de
Science Meets Art: „Tropic Ice – Climate Justice“ Photo Exhibition and Panel Discussion (Ocean Summit Kiel/Germany)
Weitere Informationen zur Forschung von Silja Klepp an der Universität Kiel
www.marinesocialscience.uni-kiel.de
www.enjust.net (Network for Environmental Justice)
Ausstellungen Barbara Dombrowski
Tropic Ice „Dialog between Places Affected by Climate Change“
www.barbaradombrowski.com/tropicice
www.barbaradombrowski.com